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Der Weg zur Rennpappe

2003-09-05 00:00:01 Geändert: 2008-09-04 17:44:06 (2) (Gelesen: 12219)
Seien Sie vorsichtig, wenn Sie auf der Autobahn einem Trabi mit verdächtig tiefer Straßenlage und breiten Reifen begegnen. Überholen Sie möglichst nicht! Sie könnten sich blamieren, wenn Sie nicht mindestens Porsche fahren. Trabis lassen sich heute problemlos auf 200 Sachen trimmen. Mit einem 150-PS-Motor, verstärkter Karosse und Rennbereifung mutiert der Trabant vom harmlosen Asphaltschleicher zur rasenden Rennpappe. Ja die Zeiten ändern sich! Früher klebten sich die Trabant-Fahrer Sprüche wie "Küss mich, ich bin ein verwunschner Mercedes!" auf die Heckscheibe. Sie ertrugen ihr Schicksal mit Humor, wenn blinkende Westautos an ihnen vorüberzischten. Heute trimmen (neudeutsch: tunen) sie ihre Pappen auf Formel-1-Format und drehen den Spieß genießerisch um: Den Westschlitten langsam kommen lassen, und wenn er fast vorbei ist - dann voll aufs Gaspedal und ihm die Rücklichter zeigen! Der Trabantfahrer als Wolf im Schafspelz. Ganz schön zeitgemäß! Nur: Wer dreht da den Spieß eigentlich um? Sitzen da wirklich die hinter´m Trabilenkrad, die früher gern Daimler gefahren wären? Oder haben Letztere nicht längst ihren alten Trabi wirklich gegen einen schickeren Mercedes getauscht? Oder fahren Golf? Oder Ford Fiesta? Jedenfalls keinen Trabi mehr. Der ist inzwischen sündhaft teuer geworden. Wer Trabi fährt, zahlt die höchste Kfz.-Steuer-Klasse; und kein anderes Auto dieser Größe schluckt so teures Benzin: 2,30 Mark pro Liter für einen stinkenden Cocktail aus Kraftstoff, Bleiersatz und Öl! Nein, der Trabi ist bald nur noch ein Auto für Reiche - also nichts für normale Ossis, es sei denn, sie haben sich ihren alten Trabi aus unzerbrechlicher Anhänglichkeit aufgehoben. Schätzungsweise 200.000 Trabanten fahren heute noch auf Deutschlands Straßen, und immer öfter sind Snobs aus dem Westen die Besitzer. Trabis werden nicht mehr verschrottet, sondern allenthalben unter Liebhabern gehandelt und sorgfältig wieder aufgepäppelt. In Polen und Ungarn haben sich Firmen auf Ersatzteile spezialisiert. Über den Internethändler www.trabiteile.de lässt sich jegliches Bauteil in 24 Stunden frei Haus beziehen. Reparaturen sind also kein Problem, Ersatzteile keine Mangelware mehr. Wenn Sie also demnächst mit Ihrem BMW kurz vor München auf der Autobahn einen Trabi überholen wollen und es klappt auch bei Vollgas nicht, dann wissen Sie, es ist alles beim alten geblieben. Vielleicht besinnen Sie sich dann Ihres zerknirschten Humors aus DDR-Tagen und kleben die Worte von damals in zeitgemäßer Abwandlung in die Heckscheibe ihres Westwagens: "Küss mich, ich bin ein verwunschener Trabi". Wie sich doch die Zeiten geändert haben!
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